Ernährung im Mittelalter

Grundlegende Informationen für Living-History-Programme
 von Andreas Sturm

Vorwort

Mit diesem Aufsatz versuche ich einen Spagat: Einerseits will ich es so kurz wie möglich halten, damit der Leser seinen Inhalt leicht verstehen und anwenden kann, andererseits soll es das weite Feld der Ernährung im Mittelalter möglichst breit abdecken, damit man auf alle Fragen des Publikums vorbereitet ist.

Natürlich kann dies nicht gelingen. Zum einen müssen die Informationen so allgemein gefaßt bleiben, dass sie an vielen verschiedenen Orten angewendet werden können. Dabei bleiben unweigerlich viele regionale Besonderheiten unberücksichtigt oder werden nur kurz angedeutet. Zum anderen ist das Thema mit vielen Unsicherheiten behaftet. Wer die verfügbare Literatur überblickt, wird immer wieder Ungereimtheiten oder offensichtliche Widersprüche beim Vergleich der Werke entdecken. Die Quellenlage im Früh- und Hochmittelalter gestaltet sich immer noch schwierig und läßt den Autoren weiten Spielraum für eigene Interpretationen, besonders dann, wenn man sich nur mit einem eng begrenzten Thema befaßt und verwandte Forschungsgebiete nicht berücksichtigt.

So gestaltet es sich schwierig, eine komprimierte Zusammenfassung anzubieten, die nicht nur für alle Unwägbarkeiten eines Living-History-Programms vorbeugt und die Übersichtlichkeit für den Darsteller bewahrt, sondern auch noch wissenschaftlich unzweifelhaft ist. Ich muß den Leser bitten, die folgenden Ausführungen nicht als unveränderliche Wahrheiten zu betrachten, sondern vielmehr als die erste Arbeitsgrundlage, die weiterer Nachforschung und Korrektur bedarf.

Dieses Arbeitspapier befasst sich mit dem deutschsprachigen Raum und lehnt sich manches Mal an Frankreich an. So sollte es eine nützliche Handhabe liefern, mit der man das Thema "Ernährung im Mittelalter" im Rahmen von Living-History-Veranstaltungen in ganz Deutschland effektiv vermitteln kann.


1 Die Grundlagen der Ernährung

1.1 Damals und Heute

Der Bestand an Kulturpflanzen unterschied sich im Mittelalter erheblich von der heutigen Vielfalt (BEHRE 74). Die Art der angebauten Früchte war stark von Klima und Boden abhängig. Auch die Vielfalt des Speisezettels war demnach wesentlich geringer. Beispiele aus ländlichen Bereichen zeigen, dass im frühen und hohen Mittelalter selbst benachbarte Gebiete sehr unterschiedliche Ernährungsweisen haben konnten, wenn sie in unterschiedlichen Naturräumen lagen.

Dadurch erklären sich die großen regionalen Unterschiede in den ländlichen Eßgewohnheiten, die bis heute nachwirken. Nur Lein und Hanf waren als Lieferanten von Öl und Textilfasern so wichtig, dass sie regelmäßig angebaut wurden. Im Gegensatz zu heute wurde das Nahrungsmittelangebot des Mittelalters immer ganz entscheidend durch die Jahreszeiten bestimmt. Bestimmte Nahrungsmittel waren in frischem Zustand nur zu bestimmten Jahreszeiten verfügbar. Die Vorratswirtschaft spielt deshalb in der Haushaltung dieser Zeit eine zentrale Rolle (KÜHNEL 202).

1.2 Landwirtschaft im Mittelalter - "ewiger Getreideanbau"

In der Antike und dem beginnenden Mittelalter war das Wirtschaftssystem Deutschlands weitgehend auf die Selbstversorgung durch Weidewirtschaft ausgerichtet. Das dünnbesiedelte Land hielt noch ausreichend Ressourcen für die Wald- und Vieh-Wirtschaft der Germanen bereit.

Diese Situation änderte sich grundlegend, als die germanischen Völker endgültig seßhaft wurden. In den wachsenden Siedlungen des Mittelalters mußten die nun begrenzten Flächen mit produktiveren Methoden als bisher bewirtschaftet werden. Fleisch- und Milchproduktion, sowie das Sammeln und der gartenmäßige Anbau von Früchten reichten nicht mehr aus. Der vergleichsweise aufwendige Ackerbau drängte deshalb die Viehwirtschaft zurück. Nur so konnten auf immer kleineren Nutzflächen ausreichend energiereiche Nahrungsmittel erzeugt werden (SAALFELD 60).

Durch die Einführung des relativ anspruchslosen Roggens1 breitete sich zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert der Getreideanbau aus. Eng damit verbunden war die Dreifelderwirtschaft, die das Getreide besonders begünstigte. Dieses Wirtschaftssystem dominierte fortan weite Teile Deutschlands. Es verhinderte aber auch die Ausbreitung anderer Kulturpflanzen und war damit die eigentliche Ursache für eine einseitige Ernährung auf Getreide-Basis, die den Speisezettel der Bevölkerung im Mittelalter bestimmen sollte (BEHRE 80).

Neben dem Roggen, der bis ins Spätmittelalter die wichtigste Getreidesorte bleibt, waren Hafer, Rispenhirse, Buchweizen (der angeblich besonders lange im Emsland heimisch ist) von weiterer Bedeutung. Andere Getreidesorten gelangten nur regional zu Bedeutung, z.B. der Dinkel in Schwaben.2

1.3 Obst, Gemüse und Nüsse - mittelalterliche Gartenkultur

Gemüse spielte in der Ernährung eine weitaus geringere Rolle als heute. Erbsen und die Pferdebohne waren wichtig, genauso waren Pastinak, Kraut, Kohl und Rüben in der ärmeren Bevölkerung verbreitet. Die meisten Gemüsearten wurden damals - wenn überhaupt - nur in einfachen Formen kultiviert und machten erst in der Neuzeit größere Entwicklungssprünge.

Der Obstanbau wurde von den Römern vorangetrieben. Sie brachten zahlreiche neue Arten aus Italien in die nördlichen Provinzen. Das Agrar-Wissen der Römer endete jedoch am Limes, so dass im Gebiet der Germania libera der Obstanbau auch später noch lange hinterherhinkte. Vergleiche von Steinobst-Kernen aus mittelalterlichen Kloakenfunden ergaben, dass die mittelalterlichen Obstsorten zwar kleiner waren als moderne Zuchtsorten, aber größer als ihre Wildformen. Obst wurde also nicht nur in der Natur gesammelt, sondern teilweise auch im Gartenbau bewußt kultiviert.

In Untersuchungen konnten folgende Obstsorten und Nüsse gefunden werden: Apfel, Birne, Quitte, Mispel, Erdbeeren, Kastanie und Haselnuß. In Süddeutschland wurden zusätzlich Maulbeere und Pfirsich als Kulturpflanzen in Freiburg nachgewiesen (FLÜELER 294).

1.4 Tierische Produkte

Die Viehbestand der Bauen war im allgemeinen nicht groß. Das Hausschwein konnte komplett verwertet werden und war selbst für wenig begüterte Bauern und Bürger einfach zu halten. Von Oktober bis Dezember fraßen die Tiere Eicheln im Wald, in der restlichen Zeit streiften sie durch Brachland oder die Straßen der Dörfer. Schlachtzeit waren November oder Dezember. Pökel- und Rauchfleisch, Speck wurden im Salzfaß konserviert und bildeten den Wintervorrat. Würste und andere frische Produkte mußten dagegen schnell verzehrt werden.

Das Schaf war in erster Linie Lieferant von Wolle. Dennoch bereichern Hammel, Lamm und Mutterschaf den Speisezettel der Stadtbewohner. Ziegen waren dagegen zweitrangig. Rinder waren als Milcherzeuger und als Zugtiere notwendig. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass Bauern sie nur dann schlachteten, wenn sie sonst keinen Nutzen mehr brachten. Kälber wurden nur selten geschlachtet - ihr junges und zartes Fleisch wurde im mittelalterlichen Denken dem Adel zugeordnet (LAURIOUX 73-74).

Jagdwild blieb größtenteils dem Adel vorbehalten, der im Laufe der Zeit das Jagdrecht immer mehr als Privileg an sich zog. Vögel im allgemeinen (ohne Unterscheidung in Haus- und Wildgeflügel) hielt man für ein besonders edles Fleisch. Die mittelalterlichen Ernährungslehren erklärten nämlich, dass deren Fleisch (genauso wie jedes junges Fleisch) nicht besonders nahrhaft sei und es deshalb von den Oberschichten verzehrt werden sollte, die keine schweren Speisen nötig hatten! So wurde der Verzehr von Rebhühner oder Kapaunen zu Inbegriff des Luxus, der von Moralpredigern wiederholt gegeißelt wurde.

Fisch war dagegen wegen der vielen Fastentage im Jahr für alle Bevölkerungsschichten unentbehrlich. Erlasse wie der des französischen Königs von 1326 zeugen davon, dass auch die Bauern mit viel Einfallsreichtum (Reusen, Netzen, Angeln) Rotaugen, Barben, Karpfen, Schleie, Brassen, Hechte, Forellen, Häslinge Barsche und Aale fingen und verzehrten (LAURIOUX 68). In der höfischen Epik Deutschlands werden dagegen Salm, Neunauge und Hausen bevorzugt (BUMKE 243).

Der Bedarf an Fisch in den Fastenzeiten konnte zu einer regelrechten Überfischung der Binnengewässer führen: beklagten sich im 11. und 12. Jahrhundert noch die Tagelöhner in der Normandie darüber, dass sie zu oft Lachs vorgesetzt bekämen, war er im 15. Jahrhundert so selten geworden, dass der französische Hof ihn nun als Luxusgut aus Irland, Schottland und Burgund importieren mußte! Nicht zuletzt deshalb war die Obrigkeit daran interessiert, den Fischfang zu reglementieren und einzuschränken, z.B. indem man Öffnungen in Reusen vorschrieb, die Setzlinge hindurch ließen oder Fischereiverbote während der Laichzeit. Burgund erklärte den Fischfang zur Staatsangelegenheit und ließ die Fischer während der Fastenzeit von Beamten und Schreibern begleiten.

In dem Maße, wie Adel und Klöster als Besitzer der Bäche und Teiche den Zugang zu Süßwasserfischen einzuschränken versuchte, gewannen gedörrte, geräucherte und eingesalzene Seefische an Bedeutung: Stockfisch war Kabeljau, der gedörrt, eingesalzen und manchmal auch geräuchert verkauft wurde. Symbol der Fastenzeit war aber der eingesalzene Hering. Er wurde in ganz Europa gehandelt.

1.5 Getränke

1.5.1 Wein

Bier und Met waren die traditionellen Getränke der Germanen. Durch die Römer gelangte der Weinbau in die römischen Provinzen und wurde schnell zum Getränk des gehobenen Bedarfs. Merowinger und Karolinger schätzten den Wein so sehr, dass sie versuchten, auf jedem ihrer Landgüter Reben anpflanzen zu lassen (LAURIOUX 84). Nicht zuletzt die Notwendigkeit von Wein für die kirchliche Liturgie verstärkte die Bedeutung des Weines auch in klimatisch wenig geeigneten Gebieten. Bereits im Frühmittelalter wurde Wein bis nach Stockholm und Birka exportiert. (BEHRE 85). Im Hochmittelalter wurde Wein schließlich auch in Gebieten angebaut, die heute keinen Weinanbau mehr zulassen- ein Klimaoptimum bis etwa 1300 begünstigte diese Entwicklung. Die erzielten Qualitäten waren sehr unterschiedlich.

Der Weinkonsum der Menschen war für heutige Verhältnisse enorm hoch: die Vertrauten des Bischofs von Arles (Frankreich) tranken im Jahre 1424 2,5 Liter pro Kopf und Tag, im Jahr gute 900 Liter! Im Vergleich dazu bekamen die Ochsentreiber des Hospizes von Aix immerhin noch 230 Liter im Jahr und ein Klostergärtner von Saint-Victor brachte es auf 315 Liter. Diese Zahlen erscheinen zunächst sehr hoch, doch sollte man bedenken, dass man im allgemeinen leichte Weine mit geringem Alkoholgehalt bevorzugte. Ärmere Leute mußten sich auch mit Tresterweinen3 begnügen. Erst Ende des 13. Jahrhunderts. begannen sich schwerere Weine durchzusetzen, die dann mit Wasser getrunken wurden (LAURIOUX 86).

Im höfischen Umfeld waren schwere südliche Weine wegen ihres Wohlgeschmacks sehr geschätzt. Die einheimischen waren dagegen oft sehr sauer und man würzte und süßte sie deshalb stark. Weißer Gewürzwein wurde lûtertranc oder mit einem französischen Lehnwort clâret genannt; der rote sinôpel, heute auch besser bekannt als Hypocras.

1.5.2 Getränke für die breite Masse

Fruchtgetränke und Milch4 werden in schriftlichen Quellen selten erwähnt und sind archäologisch kaum nachweisbar. Molke5 wird als Getränk der Bauern charakterisiert. Während der Wein nur in Regionen mit ausgeprägten Rebenkulturen von allen Bevölkerungsschichten getrunken wurde (SCHNEIDER 58), blieben besonders im nördlichen Deutschland auch weiterhin Bier und Met die üblichen Durstlöscher. Der Genuss von Met ging im Mittelalter aber scheinbar wegen des teuren Honigs rasch zurück und wurde von Bier verdrängt.

Dünnbier wurde in großen Mengen hergestellt, vor allem dort, wo Wasser nur abgekocht genießbar war. Zum Brauen dienten alle vorhandenen Getreidesorten. Verschiedenste Geschmacksstoffe sorgten für eine reiche Vielfalt. Spätestens im Frühmittelalter6 hatte man gelernt, mit der Zugabe von Hopfen oder Gagel7 ein besonders haltbares Bier herzustellen. Seit dem 13. Jahrhundert herrschte im deutsch-dänischen Grenzgebiet eine scharfe Konkurrenz zwischen dem Gagelbier und dem etwas stärkeren deutschen Hopfen-Bier (BEHRE 86).

1.6 Gewürze

Der überreiche Gebrauch von Gewürzen wird nicht selten als das kennzeichnende Merkmal der mittelalterlichen Kochkunst bezeichnet. Unbestreitbar hatte der Mensch dieser Zeit eine Vorliebe für stark gewürzte Speisen, doch dürfen wir nicht außer Acht lassen, dass ein Großteil dieser Zutaten nur einer zwar wachsenden, aber vergleichsweise kleinen Oberschicht zugänglich war. Blieben kostbare Gewürze zunächst noch auf das höfische Umfeld beschränkt, so führte der Aufschwung der Städte im 14. und 15. Jh. zu einer deutlichen Verbreitung. In den reichen Städten war es bald nur noch eine Frage des Geldes, wer sich die kostbarsten Gewürze leisten konnte. Gewürzreiches Essen wurde zu einem Ausdruck bürgerlichen Wohlstandes (vgl. VAN WINTER 94).

1.6.1 Antike Tradition und neue Handelswege

Das Frühmittelalter ist zunächst auch in der Kochkunst noch den spätantiken Traditionen verhaftet geblieben. Einheimische Kräuter und Liquamen8 bestimmten zusammen mit wenigen indischen Gewürzen, allen voran der Pfeffer, den Geschmack. Dies änderte sich seit karolingischer Zeit grundlegend. Als Venedig im 10. und 11. Jh. den Orienthandel ausweitete, war es sinnvoll, die kleinen Handelsschiffe mit Waren zu beladen, die nur wenig Stauraum brauchen, dennoch aber einen hohen Gewinn erzielten.

Über die neu entstandenen Messen der Champagne versorgten Zwischenhändler ganz Europa mit Pfeffer9, Zimt, Muskat, Safran, Nelken und Ingwer, um nur die wichtigsten Gewürze zu nennen. Auch der Rohrzucker ist seit den Kreuzzügen in Europa bekannt. Jedoch lag sein Preis noch weit über dem von Honig (VAN WINTER 93-94). Mit den Gewürzen gelangten auch Reis, Datteln, Feigen und Rosinen auf europäische Tafeln.

1.6.2 Einheimische Kräuter

Einheimische Gewürze wurden in der Natur gesammelt oder in Gärten angebaut. Vorreiter waren hier wie so oft die Klöster mit ihren Kräutergärten (Herbularien). Die Vielfalt der verwendeten Kräuter erstaunt den modernen Leser. Das Capitulare de villis nennt allein 70 Kräuter und Gemüse! Gebräuchliche Gartenkräuter waren z.B. Kümmel, Dill, Petersilie Knoblauch, Salbei, Weinraute, Beifuß, Fenchel und Sellerie,10 Liebstöckel, Kerbel, Mohn, Minze, Koriander, Rosmarin und Wacholder.

1.6.3 Salz

Natriumchlorid ist für menschliches und tierisches Leben unverzichtbar. Der Tagesbedarf eines Menschen liegt bei 5-6 Gramm. Die Notwendigkeit von Salz machte es schon in der Frühzeit zu einem begehrten Handelsgut und einem Machtfaktor der Politik. Im frühen und hohen Mittelalter war der Salzhandel noch wenig organisiert und Salz deshalb teuer. Die Landbevölkerung behalf sich möglicherweise mit Ersatzstoffen, z.B. Pflanzenasche.11 Adlige traten kleine Mengen an ihre Hörigen ab, damit die wenigstens den Brotteig würzen konnten. Zusätzliche Salzkontingente konnten sie sich u.U. durch Hand- und Spanndienste verdienen (BERGIER 127).

Die Entwicklung des Handels sorgte dafür, dass Salz in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters in beinahe jedem Haushalt verfügbar wurde. Die Preise blieben sehr stabil, aber bewegten sich im Vergleich zu Grundnahrungsmitteln immer noch auf einem hohen Niveau. Eine durchschnittliche Familie in der Normandie mußte im 15. Jahrhundert 7,5% der gesamten Lebensmittelkosten für Salz aufbringen. Dennoch konnte es sich eigentlich jeder leisten. Der tägliche Verbrauch stieg auf etwa 20 g pro Person an, was etwa auch dem Verbrauch von 1977 entspricht (ebd. 128). Salz gelangte übrigens nicht als Pulver in den Handel, sondern wurde als Brocken verkauft, die man erst für den Gebrauch zerkleinern mußte. Im mittelalterlichen Deutschland wurde der Salzbedarf weitgehend durch heimische Salinen gedeckt. Der östliche Teil Norddeutschlands wurde von den Salinen in Lüneburg, Greifswald und Sülze beliefert. Mitteldeutschland bezog das wertvolle Gut aus Halle, Frankenhausen, Salzungen, Staßfurt und Artern. Die Saline Reichenhall deckte vor allem den Bedarf des Herzogtums Bayern.

Konkurrenz erhielten die deutschen Salinen im Spätmittelalter durch den Handel mit französischem Atlantiksalz (Baysalz). Es enthielt häufig starke Verunreinigungen und galt als minderwertig. Da es aber billig war, liess es sich gut verkaufen und als lukrativer Ballast der Handelsschiffe auf den Weg in den Ostseeraum fand es rasch Verbreitung. (EMONS 115-116). Der Handel mit dem unentbehrlichen Produkt Salz war ein einträgliches Geschäft, an dem jeder teilhaben wollte: Landesherren erhoben einen Salzzoll auf die passierenden Transporte und garantierten im Gegenzug Schutz vor Überfällen. Städte versicherten sich vom Kaiser das Stapelrecht und erhoben erhöhte Zölle auf die Einfuhr von Salz und Salzprodukten wie z.B. Salzheringen (ebd. 118).

2 Nahrungsmittelaufbereitung

2.1 Zubereitung der Speisen

Die Zubereitung von Speisen wird in erster Linie durch die Gegebenheiten der Küche beeinflusst. Den Mittelpunkt der mittelalterlichen Küche bildete das offene Herdfeuer. Seit dem 13. Jahrhundert hatte sich in Klostern, Burgen und Bürgerhäusern ein kniehoher, gemauerter Ofen durchgesetzt. Der erste Kamin ist für das Kloster St.Gallen im Jahr 820 belegt (RUMM-KREUTER 228). Fleisch und Fisch konnten gebraten werden oder aber man verarbeitete "gemuste" Stücke zu Pasteten. Gemüse zerkochte man meist zu Brei (ebd. 235).

2.2 Küchenausstattung

Eine umfassende Betrachtung aller archäologischen und ikonographischen Nachweise von Küchenutensilien würde - selbst ohne Berücksichtigung regionaler Unterschiede - den Rahmen dieses Informationsblattes sprengen. Ich verweise hierfür auf die einschlägige Literatur und gebe der Vollständigkeit halber eine allgemeine Zusammenfassung.

Die Ausstattung der Küche ist im Früh- und auch im Hochmittelalter noch dürftig. Kochtöpfe aus Ton beherrschen das Bild, der Kugeltopf ist in vielen Regionen Mitteleuropas die bestimmende Form des Küchengeschirrs. Adelige Haushalte heben sich nur wenig von der bäuerlichen Einfachheit ab. Metallgefäße sind ein kostbare Luxusware, auch wenn eine soziale Differenzierung wegen der spärlichen Funde schwierig erscheint.

Erst im Laufe des 13. und 14. Jahrhunderts ändert sich das Bild grundlegend: Zahl und Qualität der Küchenausstattung nehmen stetig zu. Kessel aus Buntmetall und schwere, gegossene Grapen gelangen in zunehmenden Maße in die städtischen und adligen Haushalte (vgl. HASSE). Nicht wegzudenken aus der mittelalterlichen Küche ist der Mörser, mit dem nicht nur Gewürze, sondern auch allerlei andere Zutaten zerkleinert wurden, z.B. das Fleisch für Pasteten. In großen Küchen gab es mehrere Mörser für verschiedene Zwecke.

Das Arsenal der Küchengeräte wird vervollständigt durch Beile, Fleisch-, Fisch- und Geflügelmesser, Behälter verschiedenster Art, hölzerne Kochlöffel, Schaumkellen, Waffeleisen, Siebe, Reiben, Schüsseln, Backformen, Fleischhaken, Schemel und schließlich Leinentücher zum Durchseihen. Ein abschließbarer Schrank enthielt Gewürze, Weißbrot und Mehl (RUMM-KREUTER 232). Eine gut ausgestattete Küche des Spätmittelalters stand also in ihrer vielfältigen Ausstattung einer modernen Küche kaum mehr nach.

2.3 Konservierung und Vorratswirtschaft

Die Vorratshaltung geschah im Keller - im bäuerlichen Bereich jedoch häufig noch keine unterirdische Anlage, sondern einfache Grubenbauten. Erst in der Enge der Städte begann man unterirdische Kelleranlagen in den Wohnhäusern zu bauen (KÜHNEL 202). Die wichtigsten Verfahren der Haltbarmachung im behandelten Zeitraum waren das Beizen (Fleisch), einsalzen (Fisch, Fleisch), das Räuchern (Fleisch) und das Dörren (Birnen, Pflaumen und Kirschen). Die Herstellung von Würsten war ebenfalls bekannt. Im Ménager de Paris12 findet man auch Rezepte für Früchte und Gemüse, die in Honig, Essig oder Senf eingelegt werden, vom Autor als Kompott bezeichnet, heute als Eingemachtes bekannt (LAURIOUX 82).

Gerade Fisch, vor allem Hering, aber auch Kabeljau, Hecht, Lachs, Barsch, Aal u.a. wurden im späten Mittelalter bereits gewerbsmäßig durch Einsalzen konserviert und in den Handel gebracht. Zur kurzfristigen Aufbewahrung übergoß man Fleisch und Fisch mit heißem Öl, Fett oder Talg. Milch wurde zu Käse verarbeitet, Eier in Kalkmilch eingelegt (RUMM-KREUTER 237). Zum Schutz vor Ratten und Mäusen mußten Speisen wie Würste auf Stangen aufgehängt werden. Fleisch bewahrte man in eisernen, aber luftigen Behältern und umgab es mit Fliegennetzen (RUMM-KREUTER 232).

2.4 Qualitätssicherung und Lebensmittelkontrollen

"Man meint oft, daß die Menschen des Mittelalters die vielen scharfen Gewürze nur verwendeten, weil sie es immer mit verdorbenem Fleisch zu tun hatten. Doch obwohl einzuräumen ist, daß die ‚Warenüberprüfungsgesetze' damals gewiß elastischer waren als in unserer Zeit, ist es nicht zutreffend, dass man im Mittelalter ständig am Rande einer Fleischvergiftung schwebte und dies mit starken Geschmacksstoffen zu vertuschen versuchte. Man wußte sehr gut, was bekömmlich war, und hütete sich nicht nur vor wirklich verdorbenem Fleisch, sondern zum Beispiel auch vor rohem Wasser, an dessen Stelle man Wein oder Fleischbrühe nahm. Die Behauptung, daß die Menschen im Mittelalter einen ‚anderen' Magen hatten als wir und ständig die unmöglichsten Dinge verdauten, ist nicht aufrecht zu halten." (VAN WINTER 93)

Tatsächlich zeugen mittelalterliche Lebensmittelverordnungen von einem hohen, manchmal geradezu modernen Problembewußtsein. Trotz aller dieser Vorsichtsmaßnahmen müssen die Mißstände im Lebensmittelverkehr erheblich gewesen sein, wenn man die zeitgenössische Literatur betrachtet. So prangerte der Franziskaner Berthold von Regensburg in seinen Predigten im 13. Jh. die zweifelhaften Praktiken der Lebensmittel verarbeitenden Gewerbe an (zitiert nach Pfeiffer-Strobl in BITSCH 191)13:

  • Fleisch von unreifen Kälbern und zu lange Lagerzeiten

  • das Verbergen von faulem Fleisch

  • verbergen von Faulstellen an Obst

  • verdünnen von Wein mit Wasser (das leicht bakteriell oder anders verseucht sein konnte) oder das Verschneiden von Weinen

  • das Backen von zu stark gegorenen Broten, die deshalb zuviel Luft enthalten

  • das lange Lagern von Fisch, um ihn vor Fastentagen verkaufen zu können

  • verdorbene Speisen in Gastwirtschaften

  • das Backen mit verdorbenem Mehl und zuviel Salz (!)

  • den Verkauf von verdorbenem Korn, auf das eine dünne Schicht gutes Korn gestreut wird

2.4.1 Fleisch und Fisch

Diese Lebensmittel verderben besonders leicht und bergen die Gefahr einer Vergiftung durch bakterielle Toxine oder einer Infektion mit Krankheitserregern. Überlange Lagerzeiten vor dem Verkauf scheinen nach Berthold nicht selten gewesen zu sein. Das Muskelgewebe nicht ausreichend entwickelter Tiere (Lämmer acht Tage, Ferkel drei Wochen, Kälber zwei Wochen) wird heute nur als minderwertig eingestuft, im Mittelalter war sein Verkauf jedoch verboten. Eine Nürnberger Verordnung des 14. Jahrhunderts legt das Schlachtalter für Kälber auf vier Wochen fest.14

2.4.2 Wein

Die Qualität der hiesigen Weinsorten war wie bereits gesagt selten gut. So setzte man zahlreiche Kellerbehandlungsverfahren ein, die Haltbarkeit und Geschmack verbessern sollten. Sebastian Brant nennt eine Liste der üblichen Zusätze im Narrenschiff von 1494 (BITSCH 195):

  • Milch zur Klärung

  • Pottasche entsäuert den Wein

  • Schwefel stabilisiert ihn

  • Kräuter und Senf zur Geschmacksverbesserung.15

Ähnliche Maßnahmen sind auch heute noch üblich, größtenteils mit anderen Zusatzstoffen. Schwefel wird auch heute dem Wein zugesetzt. Jedoch unterliegen diese Beimengungen strengen Limitierungen, während man im Mittelalter sicherlich reichlich Gebrauch von ihnen machte. Besonders Schwefel und Salpeter sind in größeren Mengen gesundheitlich bedenklich, aber auch die anderen Stoffe waren selten so rein wie heute und konnten Gefahren bergen.

Bereits im Capitulare de villis hatte man die Bedeutung von Sorgfalt und Hygiene bei der Verarbeitung von Lebensmitteln erkannt, insbesondere, wenn sie mit den Händen in Berührung kamen (§34). Karl der Große verbot aber auch das Austreten der Trauben mit den Füßen (§48). Zahllose spätere Darstellungen zeigen jedoch, wie wenig diese Vorschriften beachtet wurden. Im Jahre 1358 sollen die Trauben wegen der Kälte sogar mit den Schuhen ausgetreten worden sein. Es ist nicht schwer abzuschätzen, welche Folgen diese mangelnde Sorgfalt für das Endprodukt haben konnte. Das Verschneiden, insbesondere mit solchen fûlem Wein war gefürchtet, das Soester Stadtrecht von 1120 sieht dafür sogar die Todesstrafe vor!

2.4.3 Gewürze

Da ausländische Gewürze heiß begehrt und teuer waren, stellte das Fälschen und Strecken von Gewürzen ein verlockendes Geschäft dar. Ein schönes Beispiel gibt das hübsch Vasnachtspil aus dem 15. Jahrhundert (zitiert nach BITSCH 196):

Ich red, wer mir das maul verschoben, Das du dein dreck als wol kanst loben. Dein saffran hast zu Fenedig gesackt Und hast rintfleisch dar unter gehackt Und melst unter negelein gepets prot Und gibst für lorper hin geißkot. Und fichtenspen für zimtenrinten Und nimst das laup von einer linten, Dar mit tust du den pfeffer meren, Tust unter mandel pfirsing keren Und unter Weinper muckenkopf Für muskat eichenlaubes knopf Und muckenschwamen fur rusin Und gibst hutzeln fur feigen hin, Gibst weißen huntsdreck hin fur zucker.

Die Strafen für Fälschungen waren entsprechend hart. In dem bedeutenden Handelszentrum Nürnberg unterlagen alle Gewürze der Schau. 1444 wurde ein Mann und 1456 zwei Männer, eine Frau mitsamt ihren gefälschten Gewürzen verbrannt.

2.4.4 Brot

In mittelalterlichen Städten unterlag Brot als das Grundnahrungsmittel schlechthin besonders strengen Gesetzten. Seine Maße und Gewichte waren vorgeschrieben und jedem Bäcker, der sich nicht daran hielt, drohten empfindliche Strafen (z.B. Bäckertaufe). "Beim Vergleich der Beurteilung von Lebensmitteln und Verarbeitungsverfahren in Mittelalter und Neuzeit zeigt sich oftmals eine überraschende Konsistenz: Die Wurzeln unseres heutigen Lebensmittelrechts reichen somit weit ins Mittelalter zurück." (BITSCH 200)

3 Kochbücher und Rezeptsammlungen

Kochrezepte wurden im Mittelalter in Klöster und adligen Häusern, später auch von Bürgern zunächst handschriftlich gesammelt und aufgezeichnet. Mit der Verbreitung des Buchdruckes fanden sie rasch Verbreitung und mittelalterliche Rezepte finden sich unverändert noch in Kochbüchern des 18. Jahrhunderts (RUGE-SCHATZ 217ff).

Die erhaltenen Überlieferungen setzten gewöhnlich erst im 14. Jahrhundert ein, so dass uns die Gerichte der Zeit zwischen Antike und Spätmittelalter fast völlig verschlossen bleiben. Ein weiteres Problem der Kochbücher und Rezeptsammlungen ist das Umfeld der Entstehung: Von den bürgerlichen Hausbüchern abgesehen geben sie fast immer nur Anleitungen für ausgefallene und teure Rezepte, die zu Festessen serviert wurden. Über die Ernährung der armen Bevölkerungsschichten sagen diese Sammlungen deshalb wenig aus.

4.1 Ernährungsgewohnheiten der sozialen Schichten

"Die Engel essen einmal am Tage, die Menschen zweimal am Tage und was darüber hinaus geht, ist tierisch und nicht menschlich" besagt ein Sprichwort.16 Tatsächlich begnügten sich die meisten Menschen mit zwei Hauptmahlzeiten: das Mittagessen (lat. prandium) gab es zwischen 10 und 12 Uhr, das Abendessen (lat. cena) zwischen 16 und 19 Uhr. Bei der Angabe der Uhrzeiten darf man nicht vergessen, dass sich die mittelalterliche Zeitrechnung gewöhnlich grob nach Sonnenstunden richtete! Wer wie z.B. Bauern schweren körperlichen Arbeiten nachging, aß auch ein Frühstück, das aus Bier, Wein und etwas fester Nahrung bestehen konnte (LAURIOUX 119).

4.1.1 Landbevölkerung

Die Versorgung der unteren Bevölkerungsschichten war immer durch äußere Faktoren wie Wetter und Kriege gefährdet. In den "goldenen Jahren des Hochmittelalters" (LAURIOUX 15) vom 11. bis 13. Jahrhundert ließ ein besonders warmes Klima die Landwirtschaft aufblühen. Die Bevölkerung in Mitteleuropa wuchs rasch an. Als sich in den darauffolgenden Jahren das Klima abzukühlen begann und die Erträge schmälerte, waren Hungersnöte die Folge. Nachdem der Ackerbau die Weidewirtschaft in weiten Teilen Europas zurückgedrängt hatte, verschlechterte sich die Versorgung mit tierischen Fetten und Eiweiß deutlich. Geschlachtet wurde gewöhnlich nur einmal im Herbst, und zwar die Tiere, die den Winter wahrscheinlich nicht überstanden hätten. Die Situation wurde dadurch verschärft, dass der Adel zunehmend das Jagdrecht in Wald und Flur für sich beanspruchte.

Eine Besserung trat erst in Folge der Pest-Epidemien Mitte des 14. Jh. ein, die einen Minderverbauch an Getreide nach sich zogen. Die ungenutzten Ackerflächen konnten wieder der Viehwirtschaft zugeführt werden und verbesserten die Versorgung mit Fleisch und Milch. Der Bedarf an Getreide sank damit aber noch weiter und das geänderte Konsumverhalten bewirkte einen zusätzlichen Preisverfall aller kohlenhydratreichen Nahrungsgüter (SAALFELD 63).

Brot und Getreidebreie17 waren die üblichen Speisen der einfachen Leute. Die tägliche Brotration schwankte in normalen Zeiten zwischen etwa 0,4 und 1 kg. Das (Roggen-) Brot lieferte damit den Hauptanteil der verzehrten Kalorien, der Rest war lediglich Zuspeise (LAURIOUX 16). Die Bauern erweiterten ihren Speisezettel mit Gemüse, Zwiebeln, Kohl und Pastinak. Frisches Obst wurde wohl nicht viel gegessen. Man hielt es für ungesund, rohe Sachen zu verzehren (VAN WINTER 94). Trockenobst hatte eine Bedeutung für die Vorratshaltung.18

Höchstens die Hälfte der Produktion eines bäuerlichen Haushaltes blieb im Haus, mindestens ein Viertel floß in den landwirtschaftlichen Betrieb zurück (Saatgut, Viehfutter usw.), ein weiteres Viertel gelangte in Form von Abgaben in die Haushalte des Adels oder wurde in die Städte verkauft.

Die Mahlzeiten wurden gemeinsam an einem Tisch eingenommen. Essgeschirr stand dabei kaum zur Verfügung und das sprichwörtliche Essen aus einer Schüssel blieb bis ins frühe 20. Jh. üblich (RUF 167).

4.1.2 Bürger

Die Kost in der Stadt gestaltete sich wesentlich vielfältiger als auf dem Land, standen hier doch nicht nur die in der Umgebung produzierten Lebensmittel zur Verfügung, sondern auch Handelsgüter. Diese Differenzierung des Nahrungsmittelangebotes läßt sich in Ansätzen bereits in der frühen Siedlung Haithabu beobachten (BEHRE 81) und setzt sich bis ins Spätmittelalter fort. Verschiedene Getreidesorten, Fisch, Wein und zahlreiche andere Lebensmittel wurden über weite Strecken gehandelt. Stockfisch von der Küste gelangte bis weit ins Binnenland.

Die gerade geschilderte Vielfalt sollte aber nicht zu der Annahme verleiten, alle Städte hätten dieses Angebot genossen. Mehr als 90% der etwa 4000 mittelalterlichen deutschen Städte hatten weniger als 2000 Einwohner (BEHRE 84) und waren sehr ländlich geprägt: Die sog. Ackerbürger bewirtschafteten Gärten und Äcker in und außerhalb der Stadtmauern, hielten Vieh und trugen damit zur Versorgung der Stadt bei.

Die Städte waren schließlich auch das Umfeld, in denen die verfeinerte Tischkultur der adeligen Höfe begierige Nachahmer fand und damit auch (in Maßen) die raffinierte und aufwendige Zubereitung der Speisen. Hier entwickelte sich schließlich eine eigenständige - eben bürgerliche - Esskultur, die sich bewußt vom verschwenderischen Adel abgrenzte.

4.1.3 Adel

Entgegen unserer Vorstellung von den im Luxus schwelgenden Adligen war die tägliche Kost in Burgen und Adelshäusern recht bodenständig. Große Bankette konnte man sich auch hier gewöhnlich nur zu besonderen Anlässen wie einem hôchgezît19 oder der glücklichen Rückkehr von einer langen Reise leisten (GOETZ 194).

Der grundsätzliche Unterschied zum Volk war die täglich aufgenommene Kalorienmenge. Die Herrenspeise bestand auch hier zum großen Teil aus Brot - bis zu 91 % der täglich aufgenommenen Kalorien! Natürlich stand dem Adel trotzdem eine breitere Palette von Nahrungsmitteln zur Verfügung, angefangen von Schweinen, Geflügel und Fisch von den eigenen Besitzungen bis hin zum vielfältigen Jagdwild, dessen Genuss man als besonders standesgemäß ansah.20

Dennoch blieb die Ernährung unausgewogen, da eben hauptsächlich Brot und Fleisch als Zuspeise gegessen wurde. Gemüse lehnte man ab, da es die Kost der dörper (Bauern) war.21 Obst wurde dagegen gerne verzehrt, allerdings in Form von Konfekt, Dörrobst, Kuchen oder gekocht. So fehlten in der Kost des Adels Vitamin A und Fette (LAURIOUX 16).

4.1.4 Völlerei und Enthaltsamkeit

Der Kirchenkalender bestimmte die Eßgewohnheiten des mittelalterlichen Menschen. Die Zahl der Fastentage war groß und konnte sich fast bis zu einem halben Jahr summieren. Freitag und Samstag galten als magere Tage, für besonders Gläubige kam der Mittwoch hinzu, denn an mindestens einem von drei Tagen mußte man sich des Fleisches enthalten.

An allen Fasttagen aß man theoretisch nur einmal, jedoch waren kleine Imbisse zur Stärkung erlaubt. Dazu kamen zahllose Ausnahmeregelungen für Kranke, Schwangere, Kleinkinder, Ammen und alte Leute. Die Fastenzeit vor Ostern, Fasttage vor Kirchenfesten, die Adventszeit, drei Bußtage jeweils zu Beginn der Jahreszeiten, alle diese Tage sorgten für Einschränkungen in der täglichen Kost. Zwischen Aschermittwoch und Ostern durfte kein Fleisch, keine Milchprodukte, tierische Fette oder Eier gegessen werden (weshalb zu Ostern die angesammelten Eier verbraucht werden mußten).

Die strengen Fastenvorschriften führten zu großen Spannungen in der Bevölkerung, die durch die Karnevalszeit aufgefangen wurden. Hier erging man sich nicht nur in Genußsucht, sondern stellte auch die gesamte Gesellschaftsordnung auf den Kopf. Genuß und Völlerei standen also immer Enthaltsamkeit und Entbehrung gegenüber. Mit der ständig lauernden Gefahr von Mißernten schwankte der Mensch des Mittelalters zwischen Sorglosigkeit und Angst (LAURIOUX 11-12).


Fußnoten:

1) Getreideprodukte waren in dieser Situation für die menschliche Nahrung besonders geeignet, da sie a) eine hohe Nährstoffkonzentration besitzen, b) Getreideprodukte wie Brot und Mehl gut verdaulich sind, c) kostengünstig zu lagern und transportieren sind, d) relativ zuverlässige Erträge liefern, und e) eine hohe Nährstoffleistung je Flächeneinheit erbringen.

2) Dinkel ergibt ein eiweißreiches, kleberhaltiges Mehl, das sich besonders für die Herstellung von Spätzle eignet, vgl. Flüeler. 292.

3) Trester nennt man die Rückstände, die beim Pressen der Trauben entstehen. Sie bestehen zum größten Teil aus den Traubenschalen und Kernen.

4) Milch betrachtete man als Armenkost (Laurioux 45). Es bleibt zu vermuten, dass Milch eher zu haltbaren Produkten wie Käse und seltener Butter weiterverarbeitet wurde. Man darf nicht vergessen, dass das Überangebot an Milch heute eine Folge der modernen Milchwirtschaft ist. Im Mittelalter stand mit Sicherheit weitaus weniger Milch für den menschlichen Verzehr zur Verfügung.

5) Molke ist der flüssige Rückstand der von Fett und Kasein befreiten Milch. Sie entsteht bei der Käseherstellung. Die wässrige Flüssigkeit enthält Mineralstoffe, B-Vitamine, verdauungsfördernde Lactose und hochwertiges Eiweiß. Molke verdirbt sehr schnell und muß deshalb rasch verbraucht werden. Siehe auch Anmerkung 19.

6) Bisher hat man die Entwicklung der Braukunst häufig eng mit Klöstern wie Corvey und Freising in Verbindung gebracht, aus denen die ältesten schriftlichen Überlieferungen stammen. Die Siedlungsarchäologie hat in jüngster Zeit jedoch zahlreiche Reste von Hopfen und Gagel, z.B. in Haithabu entdeckt, vgl. Behre 86.

7) Erst spät erkannte man die giftige Wirkung von Gagel. Übermäßiger Genuss konnte zu Erblindung oder Tod führen. In Norddeutschland wurde seine Verwendung 1723 verboten.

8) In anderen Quellen wird dieses Salzmittel auch als Garum bezeichnet. Es handelt sich um eine Mischung aus vergorenem Fisch und einer Vielzahl von getrockneten Kräutern. Noch 716 bestätigte der Merowingerkönig Chilperich II. die Zollfreiheit für den Import von Garum.

9) Pfeffer machte mit ca. 75% den größten Anteil der Gewürzimporte aus. Seine leichte Verfügbarkeit und ein stabiler Preis machten ihn schnell zu einem Massengewürz, so dass ihn ein Arzt im 14. Jh. zum "Gewürz der Armen" erklärte! Vgl. Laurioux 36.

10) Sellerie und Fenchel kennen wir heute auch als Gemüse. Im Mittelalter dürften sie aber als Gewürz gedient haben, da die Knollen erst in der Neuzeit gezüchtet wurden!

11)Sicher nachgewiesen ist diese Methode für die Faröer-Inseln. Dort wurden Algen verbrannt. Jedoch war die Ausbeute gering. 24 kg getrocknete Algen ergeben nur 1 kg minderwertiges Salz. Ergiebiger ist Torf, der fast überall in Nordeuropa verbrannt wurde. Die Holländer tränkten Torf mit Meerwasser, um die Ausbeute zu erhöhen. Am Ende eines langwierigen Prozesses stand das Torfsalz, das Fischer vom 13.-14. Jahrhundert besonders schätzen, weil es Heringen besondere Würze verlieh; vgl. Bergier 62.

12) Das Ménagier de Paris wurde Ende des 14. Jahrhunderts von einem betagten Bürger für seine Frau als Haushaltsbuch verfasst. Es enthält neben moralischen Anekdoten praktische Ratschläge für den Haushalt.

13) Sô gît er siuîn für bergîn fleisch; daz mac ein frouwe in eime kintbette oder einez in eime âderlâzen oder in anderre krankheit ezzen, daz er den tôt dâ von nimet; oder unzîtic kalpfleisch. Dû trügener, dû wirst schuldic an den luiten! Sô ir niht mêr zuo valscheit müget getoun, sô kêret ir dem apfel unde der birn daz fûle hin under unde daz schoene her ûz. Dû zapfenzieher, dû tuost dînem amt ouch selten rehte: dû giuzest eteswenne wazzer in den wîn oder fûlen wîn in den guoten, daz ein mensche eteswenne grôzen siechtuom dar an trinken mac. Sô ist der ein trügener an sînem koufe, der gît wazzer für wîn, der verkouft luft für brôt und machet ez mit gerwen, daz ez innen hol wirt: sô er waenet er habe ein broseme drinne sô ist ez hol und ist ein laeriu rinde. Sô gît der böckîn fleisch für schaeffenz, der mouterînez für bergînez, der vinnigez für reinez. Dû rehter trügener ungetriuwer! dû beheltest eht dîn fleisch unz ez erfûlet under dem velle, sô blîbet ez gar wîz; di wîle daz vel drobe ist, sô waenet ein bidermann ez sî gar guot unde frisch: so ist ez fûl; er mac den tôt dran gezzen oder grôzen siechtuom. Dû trügener unde dû ungetriuwer mörder! Dû mit dîner trügenheit mit mueterînem fleische oder an dûlem fleische, daz dû ze lange in dînem gewalte beheltest unz ez erfûlet, sô dû ez abnimest, oder unzîtic ist an dem alter: swelher leie eht dû dar an weist ûnde gîstû ez den liuten. Dû heltest die vische in dem wazzer gevangen unz das ein frîtac kumet: sô sint sie fûl und izzet ein mensche den tôt dar an oder grôzen siechtuom. Sô bistû schuldic an allen den. Sô sint etelîche wirte unde gasgeben in den steten, daz sie ein gesoten spîse als lange behaltent, daz ein gast dran izzet daz er iemer deste krenker ist. Daz ist allez untriuwe unde valscheit. Sô betriegent etelîche die liute mit fûlem wîne unde mit fûlem biere oder mit ungesotem met, oder gibet der rehten mâze niht, oder mischet wazzer zuo dem wîne. Sô becket etelîcher fûlez korn ze breôte, dâ mac ein mensche vil schiere den tôt an ezzen; unde versalzen brôt, daz ist gar ungesunt.Wir lesen des niht, daz salz in deheine slahte wîse sî in spîse sô ungesunt und als jaemmerlich als in brôte, unde ie baz gesalzener, ie nâher grozem siechtuome oder dem tôde. Dû bist ein rechter trügener. Dû legest ouch schoene Korn oben in den sac unde danne unden daz boese.

14) "man sol auch kain kalp niht slahen, es sei denne vier wochen alt, und auch kaines soll man slahen, das über cehn wochen alt sei." Bitsch 193.

15) grosz falscheyt dût man mit jm treiben, salpeter, schwebel, dottenbein, weydesch, senff, milch, vil krût unrein, stost man zum puncten in das fasz, ebd. 195.

16) Contamine, Vie quotideienne 228, zitiert nach Laurioux 119.

17) Brot entwickelte sich erst im Laufe des Mittelalters zur Hauptdarreichungsform von Getreide. Es verdrängte allmählich den Brei (vornehmlich aus Gerste und Hafer, weniger Hirse), auch als Muß bezeichnet, laut Plinius das Nationalgericht der Germanen, vgl. Ruf 171.

18) Sebastian Münster in Cosmographia universalis, 1544 über die Speise der Bauern: "schwarz rucken Brot, haberbrey oder gekocht Erbsen und Linsen, ... Wasser und Molken fast ganz ihr Trank." Zitiert nach Saalfeld 72.

19) Hôchgezît oder hôchzît sind die Hauptworte für Hoffeste aller Art. Die heutige Bedeutung von "Hochzeit" (mhd. brûtlouft) entwickelt sich erst später, vgl. Bumke 282.

20) Das einzig erhaltene detaillierte adelige Hausverzeichnis des 13. Jh., die Rechnungsbücher der Gräfin von Leicester für 1265 nennen hauptsächlich Hausgeflügel (Hühner, Kapaune und Gänse). An Wildgeflügel aß man Reiher, Kranich, Trappe, Rebhuhn und Fasan, Schwäne und Pfauen dagegen ausgesprochen selten; Bumke 243.

21) "Manch ein Bauer wird grau und alt, der niemals Mandelpudding gegessen hat oder Feigen, feinen Fisch und Mandelkerne. Rüben und Sauerkraut aß er gerne und manchmal hat er sein Haferbrot ebenso genossen wie die Herren das Fleisch von Wild und Haustieren." H. v. Trimberg 9813-19, zitiert nach Bumke 241.


Literatur:

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BERGIER, Jean-Francios. Die Geschichte vom Salz. Frankfurt a. Main und New York: Campus, 1989.

BITSCH, Irmgard. "Gesundheitsschädigung und Täuschung im mittelalterlichen Lebensmittelverkehr". Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit: Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10.-13. Juni 1987 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Hg. Irmgard Bitsch, Trude Ehlert und Xenja von Ertzdorff. Sigmaringen: Thorbecke, 1987. 191-200.

BUMKE, Joachim. Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter. 9. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999.

EMONS, Hans-Heinz und Hans-Henning Walter. Mit dem Salz durch die Jahrhunderte: Geschichte des weißen Goldes von der Urzeit bis zur Gegenwart. 1. Auflage. Leipzig: Deutscher Verlag für Grundstoffindustrie, 1984.

FLÜELER, MARIANNE UND NIKLAUS, Hg. Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch: Die Stadt um 1300. Katalog zur Ausstellung. Zürich, Stuttgart: Theiss, 1993.

GOETZ, Hans-Werner. Leben im Mittelalter: vom 7. bis zum 13. Jahrhundert. 6., unveränd. Aufl. München: Beck, 1996.

HASSE, Max. "Neues Hausgerät, neue Häuser, neue Kleider - Eine Betrachtung der städtischen Kultur im 13. und 14. Jahrhundert sowie ein Katalog der metallenen Hausgeräte. Zeitschrit für Archäologie des Mittelalters 7. Köln: Rheinland-Verlag, 1979. S. 7-83.

JANNSEN, Walter. "Mittelalterliche Gartenkultur. Nahrung und Rekreation". Mensch und Umwelt im Mittelalter. Hg. Bernd Herrmann. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1986. 74 - 87.

KÜHNEL, Harry, Hg. Alltag im Spätmittelalter. 2., verb. Aufl. Graz, Wien und Köln: Styria, 1986.

LAURIOUX, Bruno. Tafelfreuden im Mittelalter: Die Eßkultur der Ritter, Bürger und Bauersleut. Augsburg. Weltbild, 1999.

RUF, Fritz. "Die Suppe in der Geschichte der Ernährung". Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit: Vorträge eines interdisziplinären Symposions vom 10.-13. Juni 1987 an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Hg. Irmgard Bitsch, Trude Ehlert und Xenja von Ertzdorff. Sigmaringen: Thorbecke, 1987. 165-182.

RUGE-SCHATZ, Angelika. "Von der Rezeptsammlung zum Kochbuch - einige sozialhistorische Überlegungen über Autoren und Benutzer". Ebd. 217-226.

RUMM-KREUTER, Doris. "Heizquellen, Kochgeschirre, Zubereitungstechniken und Garergebnisse mittelalterlicher Köche". Ebd. 227-244.

SAALFELD, Dietrich. "Wandlungen der bäuerlichen Konsumgewohnheiten vom Mittelalter zur Neuzeit." Ebd. 59-76.

SCHNEIDER, Rolf. "Von Fruchtbarkeit und Armut: Das Leben der Bauern". Das Mittelalter: Die Welt der Bauern, Bürger, Ritter und Mönche. Hg. Dieter Hägermann. Gütersloh: Buch und Medien, 2001.

VAN WINTER, Johanna Maria. "Kochen und Essen im Mittelalter". Mensch und Umwelt im Mittelalter. Hg. Bernd Herrmann. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1986. 74 - 87.

 © Andreas Sturm 2003

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